Im „Alkoholikermanta“ durchs Nirgendwo


Magdalena Miedl, ORF.AT, 17.03.2018

Er ist eine Ausnahmeerscheinung im österreichischen Kino: Ludwig Wüst macht Filme, die nach der Leinwand verlangen, mächtig und sinnlich und still. Nun feiert „Aufbruch“ seine Premiere in Graz, ein zarter Film über eine metaphysische Reise durchs ostösterreichische Nirgendwo.

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Er (Ludwig Wüst) sitzt unter einer Brücke, stumm, er hebt nicht mehr ab, obwohl sein Telefon läutet. Es ist vorbei, er hat sich von einer Frau getrennt. Und dann, anderswo: Sie (Claudia Martini) wartet auf einer Bank am Feldrand. Auch sie hat eine Beziehung beendet. Auf die Mobilbox eines Handys spricht sie „Für mich war es das“, letzte Worte der Verachtung, legt auf, schreit auf und wirft das Telefon weg. Sie trägt einen schwarzen Mantel, weißrote Turnschuhe, sie hat einen altmodischen Sperrholzkoffer mit und wartet.

„Nehmen’s mich bitte mit?“
Auf die Wartebank hat jemand ungelenk Obszönitäten gezeichnet, rührend kindisch neben diesem erwachsenen Unglück der Wartenden. Irgendwann kommt der Mann vom Filmbeginn vorbei auf der Landstraße, in einem gelben Mopedauto, das ein wenig an das Yellow Submarine der Beatles erinnert. Er steigt aus, geht auf die Frau zu, die eingeschlafen ist. Sie schaut auf, erschrickt. „Nehmen’s mich bitte mit?“ Eine Viertelstunde Film ist bisher vergangen, intensive Minuten des Schauens und Wahrnehmens (Kamera: Klemens Koscher).

So beginnt „Aufbruch“, ein Roadmovie, das statischer kaum sein könnte, eine Begegnung zwischen zwei Einsamen, Überflüssigen. Er trägt Blaumann, offenbar war er einmal Handwerker, offenbar braucht ihn niemand mehr. Sie ist stilvoll praktisch gekleidet. Die Details sind wichtig, und der Film lässt zu, sie alle zu registrieren. Hier passiert nicht viel, und dann doch.

Ein Kreuz und Gladiolen
Wüsts elfter Film handelt von „einem Schutzengel. Das ist eine Sicht der Dinge“, sagt der Regisseur - mehr dazu in Holz, Erde, Milch und Schnaps. Er selbst spielt die schweigsame Hauptrolle, und begleitet eine Frau an jene Orte, zu denen sie offenbar muss, um Frieden zu finden: zu einer Werkstatt, in der ein Kreuz gezimmert werden muss, das aber noch in Einzelteilen daliegt. Der Mann nimmt mit ruhigen Gesten das Werkzeug, misst, sägt, hobelt, und baut es.

Derweil kauft sie Blumen, einen Strauß Gladiolen, „sie waren so schön, ich musste sie einfach kaufen“. Später werden sie ein Abschiedsgruß sein. Er schneidet Apfelspalten mit seinem Taschenmesser, als die Frau hungrig ist. Und als das Mopedauto stehen bleibt, findet er auf dem abgeernteten Feld Erdäpfel, trägt den schweren Koffer, und dann ist da ein Fluss, und ein Boot, und vielleicht doch ein Ziel.

Vom Vergehen der Zeit
„Aufbruch“ ist so direkt und körperlich, wie ein Film nur sein kann, und so metaphysisch, wie es das Kino zulässt, ein Film über das Vergehen von Zeit, über die Dinge und die Gesten und die Gewohnheiten, die verschwinden. Es ist ein behutsamer Film, der zum Innehalten und zum Schauen zwingt, von einer Reise zu den letzten Dingen, über das Vergehen von Zeit und das Vergängliche, über das Menschsein, und vielleicht auch: Über das Gebrauchtwerden, auch wenn man längst glaubt, zu den Überflüssigen zu gehören.

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