AUFBRUCH


Eskalierende Träume, 24.02.2018

(Ludwig Wüst, Österreich 2018) – Kino (DCP) – 10/10 (25)

„Mein Leben war die letzten 2 Monate ein Alptraum, und jetzt hat dein Film meine Seele gereinigt”, sagte ich Ludwig Wüst (den ich zuvor bereits bei einem Besuch seinerseits im Kommkino kennengelernt hatte, Anm.) direkt im Anschluss an die Vorführung. „Du, des freut mich riesig, a schöneres Kompliment hättest mir nicht machen können”, entgegnete Ludwig, und damit gab es auch keinen weiteren Gesprächsbedarf mehr. Wir hatten dafür mehr Worte aufgewendet als die Figuren in seinem Film es getan hätten, aber wir hatten trotzdem das notwendige Minimum walten lassen, das Wesentliche. AUFBRUCH ist ein Film über das Wesentlichste vom Wesentlichen dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Ich konnte es, von der Scope-Leinwand vor meiner Nase mit Alex Schmidt in die erste Reihe des Delphi-Filmpalasts gedrückt, teils kaum aushalten, wie tief die Wahrhaftigkeit und die Ehrlichkeit des Films war, wie rein und wie klar er die Menschen Menschen sein ließ, wie er ohne Worte mehrere Geschichten erzählte, nicht, weil er aktiv, bewusst, vielleicht auch anmaßend, auf Worte verzichtet hätte, nein – er zeigt eine Kommunikation, die keiner Worte bedarf, eine Kommunikation, die uns direkt zur Wurzel unserer Gesellschaft, zu ihren Narben und Wunden führt, weil man irgendwann versteht, warum bestimmte Bilder in diesem Film uns eigentlich erzählen können, was sie uns erzählen. Aber es bleibt nur Utopie zurück. Eine innere Utopie, die sich vom Äußeren nicht zerstören lässt. Ich musste irgendwann weinen, es war zuviel für mich. Es ist die Ruhe des Films, die ihn zur Utopie werden lässt. Die Ruhe, die das Gezeigte zum Selbstverständliche, bzw. das Selbstverständliche zum Spektakulären erhebt. „Was soll des denn werden?”, fragt Hans im Angesicht einiger Holzstücke in einer verlassenen Tischlerwerkstatt, in der die alte Dame etwas in Auftrag gegeben hatte und es jetzt, Monate später, immer noch unvollendet vorfindet, im Rohzustand, zwei Bretter. „Ein Kreuz.” Und ohne weitere Umschweife beginnt er, in aller Seelenruhe, aber mit Determination, alle Arbeitsschritte im Blick und routiniert ausführend, ein Kreuz zu zimmern – nicht einmal so sehr aus Sentiment, einfach nur, weil er es kann, es gerne kann und gerade nichts Dringenderes, Existenzielleres, Entscheidenderes zu tun hat, als dieses Kreuz zu zimmern, es gibt keinen Druck, keine Erfordernisse, keine Hindernisse, keine anderen Notwendigkeiten, er hat die Zeit dafür und die Lust darauf, und das ist alles, was zählt. Später wird dieses Kreuz in der gleichen Seelenruhe und mit der gleichen Determination von seinem Schöpfer zerbrochen werden, um ein Feuer zum Kartoffelbacken zu schüren. AUFBRUCH zeigt wie kaum ein anderer Film, wie grausam die Welt uns Menschen das Recht entzieht, uns ganz und gar dem Moment und damit der einzigen möglichen Konstante zu verschreiben, wie sie uns vielmehr ständig zwischen Vergangenheit und Zukunft hin- und herreißt, aber nie in der Gegenwart belässt. Die ganze Welt sollte diesen Film sehen und an ihm gesunden.

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