Brachland, Profil


Stefan Grissemann, Profil 27.07.2020 


Ein freier Radikaler: Der Wiener Konzeptkinokünstler Ludwig Wüst bringt diese Woche seinen abgründigen neuen Film in Südkorea zur Weltpremiere.

Die Selbstabschaffung während der Dreharbeiten seiner Filme gehört zu Ludwig Wüsts Zielen. Heiner Müller hatte einst proklamiert, der Regisseur sei „eine Verfallserscheinung“. Man müsse „die Verantwortung übergeben, die Darsteller in die Freiheit entlassen“, sagt Wüst. Er hat bereits mehrere Filme realisiert, die von ihm geschrieben, geprobt und konzipiert, aber in seiner Abwesenheit gedreht wurden. Sein neuestes Werk, genannt „3:30 pm“, entspricht diesem Muster. Beim Indie-Filmfestival im südkoreanischen Jeonju wird es am 1. August zur Uraufführung kommen. Im Herbst wird es, wenn alles gut geht, wohl auch in Wien zu sehen sein.

Ludwig Wüst, 1965 geboren in Bayern, aber seit mittlerweile 33 Jahren Kulturarbeiter in Wien, ist Filme- und Theatermacher, Autor, Schauspieler und Tischler, ein unersättlicher Cinephiler, abwegiger Geschichtenerzähler und nuancierter Menschenporträtist. Der Maverick Robert Frank ist sein Idol; Wüsts sehr konzeptuell angelegte Kinoarbeiten sind so präzise verfertigt wie seine Holzarbeiten. Die kreative Energie, die ihn zu No-Budget-Meisterstücken wie „Koma“ (2008), „Abschied“ (2014) und „Heimatfilm“ (2016) geführt hat, ist erstaunlich. 2018 stellte Wüst gemeinsam mit seiner Produzentin Maja Savic seinen bislang zugänglichsten Film vor: „Aufbruch“, ein existenzielles Road-Movie für das Schauspielduo Wüst und Claudia Martini. „3:30 pm“ ist dagegen ein Stück Ultrarealismus, ein per Bodycam gedrehter Ausflug mit pseudodokumentarischer Textur, zugleich der Blick auf ein unbekanntes Wien, auf das industrielle Brachland im zweiten Bezirk. Es geht um zwei Freunde, einen Amerikaner (gespielt von dem Musiker Andrew Brown) und einen Österreicher (Markus Schramm), die einander nach 15 Jahren wiedersehen, ihre Leben rekapitulieren. Dabei kommt unvermutet Traumatisches zur Sprache. Unter dem label "#dogma21" will Wüst in den kommenden Jahren kleine, halbimprovisierte Filme wie „3:30 pm“ inszenieren, „radikale Spielfilmformate kreieren“, wie er sagt. Qualität und Vertrauen sind zwei Wüst’sche Lieblingsbegriffe. Man sieht es. St. Gr.