#LOVE von Ludwig Wüst
Marina Pavido, November 30, 2024
Was ist Liebe? Ludwig Wüsts jüngster Film #LOVE interpretiert Schnitzlers Reigen in einer postmodernen Art und Weise und zeichnet gleichzeitig ein interessantes Fresko der Zeit, in der wir leben, indem er uns keine endgültigen Antworten zu diesem Thema geben will, uns aber dennoch zeigt, wie außerordentlich mächtig, wie wunderbar schmerzhaft dieses Gefühl jedes Mal sein kann.
Die vielen Gesichter der Liebe
Liebe: Eines der stärksten und komplexesten Gefühle, die wir je erleben können. Liebe lässt uns träumen, bringt uns zum Lachen, lässt uns frei fühlen, aber sie kann uns auch schweres Leid zufügen. Und tatsächlich kann sich dieses geheimnisvolle, vielschichtige Gefühl auf unendlich viele Arten manifestieren und dabei jedes Mal die unterschiedlichsten Emotionen wecken. Der Regisseur Ludwig Wüst weiß es genau: Mit seinem Spielfilm #LOVE, inspiriert von Arthur Schnitzlers Theaterstück Reigenund Chantal Ackermans Spielfilm Eine ganze Nacht, und der bei den Internationalen Hofer Filmtagen 2024 als Weltpremiere gezeigt wurde, hat er die menschliche Seele erforscht, indem er uns nicht nur eine, sondern viele Geschichten und ebenso viele Facetten des Begriffs der Liebe selbst zeigte. Als roter Faden dient Robert Schumanns Lied Ich hab im Traum geweinet, das aus dem gleichnamigen Gedicht von Heinrich Heine stammt (und von Wüst selbst gesungen wurde).
Die Liebe zu beschreiben ist bekanntlich etwas äußerst Komplexes. Ludwig Wüst selbst hat die Liebe mit einem Ozean verglichen, und bei seinem Versuch, sie zu beschreiben, war es, laut ihm, als hätte er versucht, eine Portion Wasser mit seinen Händen zu greifen. Ist ihm dieses mutige Experiment jedenfalls gelungen? Bald gesagt.
#LOVE ist ein unglaublich lebendiger und pulsierender Chorfilm, der über viele Jahre gedreht wurde und sich durch eine Vielzahl von Stimmen (und Regieansätzen) auszeichnet, um uns zu zeigen, wie vielfältig die Welt der Liebenden ist. Luka definiert sich selbst als eine non-binäre Person. Sie wurde im Körper einer Frau geboren und möchte sich nicht auf eine bestimmte Art und Weise einordnen, je nachdem, was die Gesellschaft von ihr erwartet. Sie hat einen mutigen und schmerzhaften Weg hinter sich, und auch heute noch fällt es ihr besonders schwer, über bestimmte Themen zu sprechen.
Ein Junge hingegen zieht es vor, mit Mädchen über Skype zu chatten, aber er will auf keinen Fall das Haus verlassen und sie persönlich treffen. Eine Frau muss, nachdem sie viele Jahre in derselben Wohnung gelebt hat, ihr Zuhause für immer verlassen. Sie ist einsam und verzweifelt, aber kann die virtuelle Zuneigung ihrer Followers sie jemals trösten? Und wieder: Ein Mann telefoniert auf dem Heimweg von der Arbeit mit seiner jungen Tochter. Zusammen mit ihm hat eine Kollegin gerade erfahren, dass sie von ihrem Freund betrogen wurde. Die Wut ist groß, der Schmerz auch. Nichts und niemand scheint sie trösten zu können.
Dies sind also einige der Geschichten, die uns in diesem wertvollen #LOVE erzählt werden. Und so wird uns sofort klar, dass Ludwig Wüst uns einen umfassenden Überblick über die Welt der Liebe geben wollte, egal um welche Art von Liebe es sich handelt: Liebe zu sich selbst, unerwiderte Liebe, plötzlich und fast zufällig entdeckte Liebe. Und so kommt jede der Geschichten, die uns auf der Kinoleinwand gezeigt werden, mit all ihrer emotionalen und kommunikativen Kraft auf uns zu.
Besonders interessant und perfekt zu den inszenierten Geschichten passend ist in diesem Zusammenhang der von Wüst für #LOVE gewählte Regieansatz. Ein Regieansatz, der manchmal klassisch ist (wie wenn wir Luka während des Interviews vor einem völlig weißen und neutralen Hintergrund sehen) und manchmal Handy- oder Archivmaterial (das dem Regisseur selbst gehört und teilweise noch vor den Dreharbeiten zum Spielfilm Ägyptische Finsternis in Ägypten gedreht wurde) zu seinem Arbeitspferd macht.
Auf jeden Fall ein stark realistischer und minimalistischer Regieansatz, ganz im Sinne der gesamten Filmografie von Ludwig Wüst, der in seiner komplexen Einfachheit eine große Kenntnis der menschlichen Seele und große Zuneigung und Respekt für die Protagonist:innen zeigt. Was also ist Liebe? Indem er Schnitzlers Werk auf eine postmoderne Weise interpretiert und gleichzeitig ein interessantes Fresko der Epoche, in der wir leben, zeichnet, will #LOVE uns keine endgültigen Antworten auf diese Frage geben, aber er macht uns bewusst, wie außerordentlich mächtig und wunderbar schmerzhaft dieses Gefühl jedes Mal sein kann.
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