Zwei Freunde, eine Ansteckkamera und ein Schuss Suspense


Andrey Arnold, Die Presse, 29.10.2020

Ludwig Wüsts „3.30PM“ läuft bei der Viennale: ein Ego-Trip mit Hintersinn.


Ludwig Wüst ist nicht zu stoppen. Keine zwei Jahre nach seiner letzten Arbeit „Aufbruch“, die mit ihrer Berlin-Premiere auch eine Art Durchbruch war, legt der Wahlwiener und Autorenfilm-Maverick nach. „3.30PM“ heißt Wüsts jüngster Wurf, der zum ersten Mal seit dem Trauma-Drama „KOMA“ (2009) wieder bei der Viennale Premiere feiert. Und neuerlich ins Avantgardistische ausschert.

Wie bei „Aufbruch“ handelt es sich bei „3.30PM“ um einen Ego-Trip. Das ist nicht abwertend gemeint: Reisen ins Ich, die sich im Laufe tatsächlicher Exkursionen oder (Kamera-)Bewegungen vollziehen, sind das handgeschnitzte Steckenpferd des Teilzeit-Holzarbeiters Wüst. Und diesmal folgt man dem Geschehen sogar aus der Subjektiven.

Zwei Freunde (ein Schauspieler aus der Hauptstadt, ein Musiker aus Amerika), gespielt von Markus Schramm und Andrew Brown, treffen sich nach jahrelanger Funkstille wieder. Sie flanieren durch Baustellen, trinken Bier im Prater, plaudern über das prekäre Leben, die sich wandelnde Stadt, ambivalente Vergangenheit und ungewisse Zukunft. Und fahren schließlich aufs Land, wo das Gedächtnisherz des Österreichers schlägt.

Großteils ungeschnitten aufgezeichnet wird das alles von einer Ansteckkamera, deren mysteriöse Voyeur-Funktion einen Schuss Suspense und Sozialkritik ins Spiel bringt. Doch im Kern geht es, wie immer bei Wüst, um die Verarbeitung persönlicher Geschichte vor dem Hintergrund ihrer Vergänglichkeit. Erstaunlich ist die (teils improvisierte) Leichtigkeit, mit der „3.30PM“ seine schwierigen Themen umkreist. Man möchte fast von einem „Buddy-Movie“ (sprich: Kumpelfilm) sprechen: Ein Novum im Wüstiversum. Die Hauptfiguren hatschen durch ein Spannungsfeld aus Neid und Zuneigung, Ver- und Aufgeschlossenheit. Bis am Ende ein Akkordeon erklingt, und die Seelenknoten sich lösen.

Zu sehen: 29. 10., 20:30 h, Stadtkino; 30. 10., 20:30 h, Blickle Kino; 31. 10., 15:30 h, Filmmuseum.



("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2020)

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