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Walter Gasperi

Gegenpol (...) bildet "I Am Here", mit dem sich Ludwig Wüst ein weiteres Mal als österreichischer Meister des Slow Cinema erweist. Zwei Menschen und ein Waldspaziergang reichen Wüst aus, um ein ebenso minimalistisches wie intensives Drama über quälende Erinnerungen und die Suche nach Lebensglück zu entwickeln.


In langen, ruhigen Einstellungen folgt Wüst seinen von Martina Spitzer und Markus Schramm famos gespielten gut 50-jährigen Protagonisten. Im gleichen Dorf sind aufgewachsen, kennen sich seit Kindertagen, haben sich aber seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Während sie nun wieder gemeinsam durch den Wald spazieren, erzählt die Frau bald vom Tod ihrer Mutter, die sie in ihren letzten Lebensmonaten immer wieder im Pflegeheim besuchte, und der Mann von Vater und Mutter sowie von einer Beziehung zu einer Prostituierten.


So wie der Mann im Wald mit einer Schaufel ein Loch gräbt, werden hier zunächst Erinnerungen ausgegraben, später werden diese Erinnerungen mit alten Fotos auf einem abgeernteten Feld aber auch verbrannt und begraben. Eine Befreiung und ein Neubeginn scheint erst mit der Aufarbeitung dieser Vergangenheit möglich und so wechselt der Film am Ende auch abrupt nach Ägypten und endet mit der Betonung der Gegenwärtigkeit, wenn die Hand des Mannes auf ein Blatt "I Am Here" schreibt.


In seinem Verzicht auf jeden klassischen Handlungsaufbau und der Beschränkung auf zwei Figuren steht "I Am Here" in Opposition zum konventionellen Kino. Doch in den langen ruhigen Naturbildern, in der Stille, der Wüst Raum lässt, und in den intensiven Erzählungen von Spitzer und Schramm, die so authentisch wirken, dass sie berühren, entwickelt dieser auf analogem 16-mm Material gedrehte Film, sofern man sich auf seinen langsamen Erzählrhythmus einlässt, große Schönheit und Intensität.

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