PLACES, FACES


Otmar Schöberl

Der neue Film von Ludwig Wüst entfaltet von der ersten Einstellung an kraft seiner starken Bilder einen hypnotischen Sog. Die Story ist minimalistisch: die stille Odyssee eines Mannes (Ludwig Wüst himself) und einer Frau (Claudia Martini) über Äcker und Felder, auf menschenleeren Straßen, zunächst unterwegs mit einem skurrilen Dreirad-Auto.

Als in einem Dorf Station gemacht wird, besuchen die beiden eine verlassene Tischlerwerkstatt. Der Mann zimmert für die Frau ein einfaches Holzkreuz: Selten zuvor wurde so penibel und eindringlich der Herstellungsvorgang eines (Gebrauchs-)Objektes beschrieben wie in diesem Film. Auf jede kleine Geste kommt es an, kein Tropfen Leim darf verschüttet werden. Als das Kreuz fertig ist, brechen die beiden wieder auf. Sie besuchen ein verwüstetes Haus, das für die Frau von großer Bedeutung zu sein scheint, und, als ihr Gefährt unterwegs den Geist aufgibt, machen sich zu Fuß auf den Weiterweg.

Wohin? Weg, nur weg scheinen die zwei Figuren in Wüsts Breitwand-Kammerspiel, das in schmutzig-grauem Himmel und markanten Gesichtern schwelgt, zu wollen. Wohin, darauf lässt sich keiner der beiden ein. Und auch Wüst tut es nicht: Wo in Tarkowskis „Stalker“ noch ein Ziel existiert, der geheimnisvolle Raum, der die geheimsten Wünsche erfüllt, wird in „Aufbruch“ kein Ort mehr gesucht, die Orte werden hinter sich gelassen, wie die Apfelschalen, die Martina Spitzer in Wüsts „Das Haus meines Vaters“ auf dem Tisch lässt.

Es gibt auch kein Wünschen mehr – aber viel Bewegung in „Aufbruch“, es ist jedoch keine Bewegung nach vorne oder zurück, mehr eine ins Innen. Dabei tragen die Figuren kein offensichtliches Geheimnis vor sich her: Sie sind einfach. Und die monochromen Breitwand-Bilder fungieren als kongeniale Verstärker, wie der Resonanzraum einer Gitarre: Jeder Akkord bekommt besonderes Gewicht, und doch kommt es auf den Zusammenklang der beiden Figuren an. Und jeder von ihnen werden Einstellungen und Sequenzen großer Kraft gewidmet: Der Mann schreit etwa an gegen das übermächtige Geräusch eines fahrenden Zuges, die Frau versucht, eine Wand weiß zu streichen – mit den bloßen Händen.

Am Ende des Films steht ein Abschied: Man wird sich nie wieder sehen. Aber wie in einem Film von Jean-Pierre Melville ist es das „Wie“, mit dem man geht, eher als das „Dass“: ein „Aufbruch“.