Aufbruch


Oliver Stangl, ray filmmagazin, 03/2019

Obwohl der Schauspieler und Theaterregisseur Ludwig Wüst noch gar nicht so lange im Bereich des Bewegtbildes arbeitet – Koma, sein erster Langfilm, entstand 2009 –, hat er sich doch innerhalb kurzer Zeit eine Handschrift erarbeitet, die von der Kritik wechselweise als „kompromisslos“, „obsessiv“ oder „dringlich“ bezeichnet wurde. Die Themen zielten auf menschliche Abgründe und existenzielle Pein, als bevorzugtes Stilmittel kristallisierte sich die lange Einstellung heraus. Letzterer bleibt Wüst auch in Aufbruch treu, ein Roadmovie für Freunde des Kunst-, weniger des Arthousefilms. Die Handlung ist schnell umrissen: Ein emotional traumatisierter Mann im Arbeitsoverall (Wüst selbst) fährt mit seinem Kleinwagen durch die österreichische Provinz und nimmt eine Frau (Claudia Martini) mit, die russische Gedichte übersetzt und ebenfalls eine private Katastrophe erleben musste. In einer Werkstatt fertigt er ihr ein Kreuz, man sucht Orte der Vergangenheit auf, trinkt Alkohol, brät Kartoffeln und fährt per Boot zum Alberner Hafen. Traumata werden mit wenigen Worten aufgearbeitet, einfache Dinge sorgen für so etwas wie Trost.

Die Einstellungen des Films gleichen dabei präzisen Tableaus, die mit Farbakzenten versehen sind. Ein solcher ist beispielsweise das knallgelbe Auto – im Grunde ein Moped mit Fahrerkabine –, das für etwas Humor in der schwermütigen Geschichte sorgt. Die Tonspur setzt auf Stille und betont Alltagsgeräusche (Bierdosenöffnen, Geldscheinknistern), der Musikeinsatz ist minimal. Aufbruch kann durchaus als narratives Kino kategorisiert werden, aber doch mit Einschränkungen: Aufgrund der relativen Distanz zu den Figuren und der insgesamt starken Reduktion steht er an der Schnittstelle zwischen Spielfilm und jenen Werken, die in Museen gezeigt werden. Symbolik und Stimmungen kommen an erster Stelle, die Geschichte zweier geschundener Seelen erst an zweiter.

Der Titel Aufbruch ist zwiespältig: Einerseits kann man ihn als Deskription der Reise sehen, doch gibt es andererseits kein reines Happy End. Ja, ein gewisser Neustart lässt sich zart konstatieren; dass es am Ende (vielleicht) auch Geld ist, das (möglicherweise) zur Hoffnung beiträgt, mag ebenfalls als Ironie gelten. Die langen Einstellungen, die, neben anderen europäischen Auteurs, auch an Angelopoulos denken lassen (besonders die Bootsszene in Der Blick des Odysseus), sind dabei besonders zu Beginn effektiv, etwa wenn Wüst einen Großteil des Kreuzes in einer ungeschnittenen Einstellung fertigt (Handarbeit ist ein Leitmotiv), sie tragen das Gewicht der Handlung aber nicht bis zum Ende. Insgesamt jedenfalls ein bemerkenswertes „mood piece“.

Link zum Artikel