sebastian selig, Deadline



Das Allerbeste kommt aber noch: Einmal mehr haut uns ein Film von Ludwig Wüst völlig um. Wüst ist ein Besessener. Aus dem Schauspiel  kommend, hat er irgendwann diesen unbändig in ihm tobenden Ideenfluss filmisch in ganz eigenwillige Bahnen lenken müssen. Film für Film bis  ins Detail durchdacht und dann einfach freigelassen. I AM HERE!, sein in Rotterdam Weltpremiere feiernder neuster Kinofilm, beginnt völlig  unberechenbar irgendwo tief im Wald. Wir folgen einer Frau und einem  Mann immer tiefer rein zwischen die von Sonnenschein durchfluteten Stämme. In langen, teilweise 15-minütigen Szenen ohne Schnitt schälen sich in völlig natürlich wirkenden Gesprächen nach und nach die unfassbarsten Geschichten ins Freie. Martina Spitzer und Markus Schramm beeindrucken dabei mit zweifellos einer der allerbesten  Schauspielleistungen der letzten Jahre.

Man hört ja leider viel zu selten in deutschsprachigen Filmen Dialoge, die nicht leicht theatralisch überhöht sind. Anders hier in I AM HERE!. Immer wieder gibt es da Pausen, bei denen man den Figuren förmlich beim Denken und Fühlen zusehen kann, und wenn der gänzlich natürlich wirkende Gesprächsfluss dann wieder einsetzt, hat er nicht selten eine völlig überraschende, neue Wendung eingeschlagen. In einem der schönsten Momente des Films stehen wir irgendwann auf einem weiten Acker. In einem Loch zu unseren Füßen brennt Vergangenes. Die Flammen blättern dabei sorgsam Seite für Seite noch einmal auf, ehe sie vor unseren Augen verglühen. Wüst erklärt uns später, er habe die Fotos und alten ZACK-Comicseiten mit Lösungsmitteln und kleinen Papierkügelchen zwischen den Blättern vorher sorgsam präpariert, damit dieser filmisch beeindruckende Effekt entstand. I AM HERE! ist voller solcher scheinbar unberechenbaren Wunder. Ein Kinofilm, dem immer wieder schier Un- mögliches gelingt.

link IFFR Rotterdam