Spuren der Vergangenheit
Susanne Gottlieb, Uncut Movies, Oktober 2020
Regisseur Ludwig Wüst erkundet in „3.30 PM“ erneut in non-narrativen Dialogsequenzen die Fragen nach Heimat, Freundschaft, Erinnerung und Geschichte. Die beiden Freunde Martin (Markus Schramm) und Anthony (Andrew Brown) treffen sich nach 15 Jahren erstmals wieder. Martin ist ein mittelloser Schauspieler, der es zu nicht viel im Leben gebracht hat und nun bei der Heilsarmee wohnt. Anthony kommt aus einer zerrütteten Beziehung. In langen, ungeschnittenen Sequenzen, die von einer niedrigauflösenden Kamera, montiert an den Körpern der Protagonisten, gefilmt wird, wandern die beiden durch die Steinwüste von Wiens Stadtbauprojekten im 2. Bezirk, den Prater, sowie ein heruntergekommenes Häuschen in der Peripherie.
Geschrieben auf Basis von Improvisationen erzählen die Figuren aber nicht nur von ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten, die Reise geht teils bis zurück in die Kindheit. Symbolisch dafür die Uhr, die Martin an den frisch gestrichenen Wänden seines nun verlassenen Elternhauses anbringen will. Auf 3:30 Uhr soll sie stehen. Emotionen und Erinnerungen werden aufgearbeitet, während die kleine Kamera immer weiter streamt.
Wüst setzt die Stadt abermals mit viel Liebe aber auch einen kritischen Blick auf die Entwicklungen in Szene. So sorgen sich die Freunde um das Schicksal der obdachlosen Frau (Roswitha Soukop), die einst am Areal der Baustelle wohnte und dann vertrieben wurde. Beinahe beiläufig werden auch die Grausamkeiten der Vergangenheit und des unmittelbaren Umfelds der Figuren entblößt. Es sind keine langen dramatischen Ansprachen, die den Ton angeben. Wüsts Film hat etwas Naturalistisches, eine Unmittelbarkeit des Dialogs, auch wenn manche Szenen nicht immer wie aus dem Leben gegriffen wirken. Weil, wer jätet schon den seit Jahren wuchernden Urwald im Garten in einer Stunde.
Sein Stil bleibt ungebunden, dem Moment verhaftet und weniger filmischer Mitteln verpflichtet. Ein Spaziergang durch Wien und das Seelenleben zweier Figuren, dass einem vertrauter erscheint als so mancher auf Hochglanz polierter Film.
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